Darf ich lesen

Comicempfehlungen Dezember 2020

Das neue Jahr steht in den Startlöchern und ihr habt eure monetäre Ausbeute von Weihnachten noch nicht verprasst? Dann habe ich hier wieder ein paar Comicempfehlungen für euch: Von charmanten Neuzugängen, die Supernatural mit Stranger Things Feelings kreuzen, Coming of Age Urlaube und Superhelden mit posttraumatischen Belastungsstörungen habe ich eine bunte Mischung für euch, bei der für jeden und jede etwas dabei sein sollte.

Um es Einsteigern erneut so einfach wie möglich zu machen, markiere ich wieder alle *Fachbegriffe und erkläre sie am Ende des Textes in einem Glossar.

Read More

Comic Empfehlungen Oktober 2020

Für wen sind eigentlich Comics gedacht und in welcher Altersspanne sollte und kann ich was lesen? Das sind Fragen, die einem öfter einmal gestellt werden (noch öfter kommt die Frage “Wie kann ich bitte in das Thema Comics am Besten einsteigen?”). In diesem Monat versuche ich darauf eine Antwort zu geben, denn ich habe tatsächlich ein breites und abwechslungsreiches Programm für euch vorbereitet. Wir haben eine Origin-Story* aus meinem Lieblings-Comic-Imprint*, die eine oft erzählte Geschichte mit neuen Ideen erweitert. Darüber hinaus zeige ich euch im Anschluss daran eine Superhelden-Welt, die abseits von Marvel und DC stattfindet. Zu guter Letzt möchte ich euch noch einen Comic zeigen, der eine eher unübliche Thematik behandelt und vor allem mal jenen vorgelegt werden kann, die sonst nur verächtlich die Nase rümpfen, sobald es um Comics geht. (Das werde ich so oft einbauen, bis ich nie wieder hören muss, dass Comics „ja nur was für Kinder sind“)

Um es Einsteigern erneut so einfach wie möglich zu machen, markiere ich wieder alle *Fachbegriffe und erkläre sie am Ende des Textes in einem Glossar. 

Harley Quinn – Breaking Glass – Jetzt kracht’s!

Story

Harleen Quinzel kann man mit vielen Adjektiven beschreiben: Vorlaut, exzentrisch, sprunghaft, verrückt. Das Adjektiv, welches wohl am besten passt ist “rebellisch”. Mit nur 5 Dollar in der Tasche zieht es die junge Harley nach Gotham City und wieder einmal scheint sie auf sich allein gestellt zu sein. Als sie von der exzentrischen Dragqueen Mama aufgenommen wird, kommt Harley zum ersten Mal in ihrem Leben an einem Ort wirklich an. Sie findet in der Schule rasch eine Freundin in der politisch aktiven Ivy und man erfährt schnell vom antikapitalistischen Verbrecher, dem Joker. Als ihr neues Zuhause von der Gentrifizierung bedroht wird, muss sich die junge Harley entscheiden, ob sie mit Ivy die Seite des friedlichen Protestes wählt, oder ob sie sich dem Joker anschließt. 

Meinung

Wo fange ich da am besten an? Mit Harley Quinn Breaking Glass war Mariko Tamaki nicht umsonst für den Eisner Award* 2020 in der Kategorie “Best Publication for Teens” nominiert. Die Comiczeichnerin hat sich auch quasi von 0 auf 100 in mein Herz geschrieben. Breaking Glass schafft es nicht nur der problematischen Origin Story* von Harley Quinn einen frischen und interessanten Spin mitzugeben, der Comic schafft es auch perfekt, aktuelle Probleme für ein junges Publikum aufzuarbeiten und verständlich zu machen. Dabei ist die Erzählung nie belehrend, die Diversität nie forciert und die LGBTQ+-Repräsentation immer supportiv. Breaking Glass passt einfach perfekt in die aktuelle Zeit und ist ein wundervolles Geschenk gerade für junge TeenagerInnen, die den Einstieg in die Comicwelt wagen möchten. Die Zeichnungen stehen dabei der Erzählung auf keiner Ebene nach und haben das interessanteste Joker Design der letzten Jahre im Gepäck. Das DC Imprint* namens DC Ink wurde im übrigen von Panini ins deutsche übernommen als Panini Ink. Dort erscheinen nun nicht nur DC Ink Comics, sondern auch von Panini ausgewählte Marvel Comics, die gut in das Young Adult Genre passen. Das wird mit Sicherheit nicht der letzte Comic aus diesem Imprint* sein. 

Hardfacts

Verlag: DC Comics (US), Panini Comics (DE)

Autorin: Mariko Tamaki

Künstler: Steve Pugh

Format:  SC *

Umfang: 208 Seiten

Inhalt: Harley Quinn Breaking Glass

Preis: 16,99 € (DE), 12,99 $ (US)


Invincible Band 1

Story

Auf den ersten Blick erscheint Mark Grayson wie ein normaler Teenager. Seit seine Kräfte endlich erwacht sind, kämpft er jedoch als Superheld Invincible für das Gute. Mark ist nämlich der Sohn des mächtigsten Superhelden der Erde: Omniman. Schnell muss er lernen, dass das Superheldenleben nicht so einfach ist, wie er sich das vorgestellt hat und dass so eine Geheimidentität das Privatleben mehr als nur auf den Kopf stellen kann. Als die Guardians of the Globe – das größte Superhelden-Team der Erde – ausgelöscht wird, zieht es Mark hinein in eine Verschwörung, die seine Fähigkeiten und seinen Horizont komplett übersteigen

Meinung

Wer sich jetzt sowas denkt wie “ Boah, das hört sich an wie die generischste Superhelden Reihe überhaupt”, der hat recht. Ich habe die Zusammenfassung tatsächlich exakt so gewählt weil ich diesen Gedanken am Anfang der Geschichte selbst hatte. Invincible spielt tatsächlich mit Superhelden Klischees. Es macht es aber auf eine Art und Weise, dass es sogar eher eine Stärke ist. Der Comic ist mittlerweile über 17 Jahre alt und erscheint aktuell in einem Re-Release in Deutschland. Das Ding schafft es trotz seines Alters, sich im Jahr 2020 zu 100 % frisch und aktuell anzufühlen. Zum einen erschafft er ein kohärentes und großes Universum, ohne in unendliche Sideplots zu zerfasern (etwas, das Marvel seit Jahren nicht mehr schafft) und zum anderen sind die Charaktere in Invincible einfach immer nachvollziehbar und menschlich. Der Comic spricht dabei vor allem in späteren Bänden sehr erwachsene Themen wie Alkoholismus, Trauerbewältigung und Traumabekämpfung an. Robert Kirkman hat es damals geschafft, das Superhelden-Genre zu nehmen und trotz eines generischen Grundgerüsts zu begeistern. Wohlgemerkt sieben Monate, bevor er das mit The Walking Dead und der Zombie-Thematik nochmal geschafft hat. 

Kleiner Tipp am Rande: 2021 erscheint bei Amazon eine Animation-Serie zu Invincible und wie der Zufall es will, ist vor kurzer Zeit der erste Trailer dazu erschienen.

Hardfacts

Verlag: Image Comics (US), CrossCult (DE)

Autorin:Robert Kirkman

Künstler: Cory Walker

Format:  SC *

Umfang: 352 Seiten

Inhalt: Invincible 1-13

Preis: 30,00 € (DE), 34,60 $ (US)


En Garde!

Story

Bevor ich die Story für diesen Comic zusammenfasse, muss ich eine Trigger-Warnung aussprechen. Der Comic behandelt die folgenden Themen: Gewalt in einer Beziehung, Depression, Selbsthass, sexuelle Gewalt und Selbstverletzung. Solltet ihr auf diese Themen reagieren, lest bitte nicht weiter.

Endlich beginnt er. Die teilnehmenden Frauen sind sich zwar noch nicht sicher, was sie von dem therapeutischen Fechtkurs halten sollen, doch sie alle eint die Hoffnung, dass sie endlich ihre Traumata überwinden und mit ihrem Leben weitermachen können. Lucie schläft zum Beispiel nach ihrer gewalttätigen Ehe mit dem Messer unter dem Kopfkissen und muss verarbeiten, dass sie mit ihrem Exmann das Sorgerecht teilt. Tamara versucht ihren Schmerz in Sex, Alkohol und Drogen zu ertränken und stößt die Personen, die ihr zu helfen versuchen, immer weiter weg. Nicole hingegen hat bereits alle um sich herum weggestoßen und versucht sich einfach nur noch in Luft aufzulösen. Mit dem Fechtkurs haben sie nun die Chance ihr Leben wieder unter ihre eigene Kontrolle zu bringen. Gemeinsam wachsen die drei Frauen über sich hinaus und eine feste Bindung entsteht zwischen ihnen. 

Meinung

Nachdem Quentin Zuttion mit Nennt mich Nathan bereits das Thema Transgender mit Fingerspitzengefühl und viel Herz erzählt hat, nimmt er sich nun das nächste “schwere” Thema vor. Dass das Ganze trotz seiner letztlich lebensbejahenden Botschaft bei weitem kein Feelgood-Comic ist, sollte jedem nach der Triggerwarnung und der Zusammenfassung der Geschichte klar sein. Ich hatte beim Lesen ständig einen Kloß im Hals und bei einem Reveal der Charaktere sofort Tränen in den Augen. Die Themen vor denen ich eingangs gewarnt habe, werden hier schonungslos besprochen und exakt das macht den Comic so gut. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Probleme diese drei Frauen alltägliche Probleme unserer Gesellschaft sind. Und auch wie im ersten Comic dieses Blogposts greift En Garde! hier auf keinen Fall in eine Klischeekiste. Quentin Zuttion schafft es, dass die Themen auf Augenhöhe abgehandelt werden, der nötige Ernst niemals abhanden kommt, man aber zugleich auch nicht belehren will. Der Leser befindet sich immer auf einer Ebene mit den Figuren und kann deshalb leichter mit ihnen mitfühlen. En Garde! ist dabei schlicht ein meisterliches Beispiel dafür, was Comics alles sein können. 

Hardfacts

Verlag: Splitter (DE)

Autorin: Quentin Zuttion

Künstler: Quentin Zuttion

Format:  HC *

Umfang: 208 Seiten

Inhalt: En Garde!

Preis: 29,80 € (DE)

Glossar

Imprint: Ein Unterverlag in dem meist Comics für eine gewisse Zielgruppe erscheinen

Origin Story: Die Entstehungsgeschichte einer Figur

sc: Softcover

hc: Hardcover

Comic-Empfehlungen August 2020

Leider ist mein letzter Beitrag schon wieder viel zu lange her, doch hiermit gelobe ich Besserung. Ich habe mir ein neues Format überlegt und werde für euch nun jeden Monat (manchmal vielleicht auch alle zwei Monate) das tun, weshalb ich eigentlich hier bin: Ich stelle euch Comics vor. Da ich recht viele Comics lese, präsentiere ich euch immer einen bunten Strauß mehrerer Titel, die ich in dieser Zeit für besonders erwähnenswert betrachte.

Da die “Fachbegriffe” und Abkürzungen aus der Comic-Welt vielleicht für den ein oder anderen Leser neu sein könnten, habe ich mich dazu entschlossen, entsprechende Begrifflichkeiten mit einem * zu markieren und im angehängten Glossar kurz zu erläutern.

Read More

Desperados 3

Mimimi Productions zaubert mit Desperados 3 eins der abwechslungsreichsten Echtzeit-Taktikspiele der letzten Jahre auf den Bildschirm. Dass die Jungs und Mädels des Münchner Entwicklerstudios Ahnung von der Materie haben, konnten sie schon mit Shadow Tactics: Blade of the Shogun unter Beweis stellen. – Nun verschlägt es uns also in den wilden Westen. Es geht um Rache, eine gierige Eisenbahngesellschaft und eine Bärenfalle namens Bianca.

Wenngleich es sich um den dritten Teil der Reihe handelt, benötigt ihr keinerlei Vorwissen. Das Spiel erzählt die Anfänge der Bande rund um den Revolverhelden John Cooper. Ihr erfahrt, wie das Schicksal ihn, Kate O’Hara, Hector, Doktor McKoy und Neuzugang Isabelle zusammenbringt, um die fiesen Machenschaften der DeVitt Company zu einem vorzeitigen Ende zu bringen.  

Um das hier direkt einmal abzuhandeln: Die Geschichte von Desperados 3 lässt sich mit dem Wort „solide“ bestens beschreiben. Sie bietet einen angenehmen Rahmen, drängt sich nicht auf, sollte aber auch niemanden überraschen, der schon einmal einen Western gesehen hat. Das ist allerdings nicht weiter schlimm, da so die anderen fantastischen Elemente des Spiels viel mehr zur Geltung kommen.

Fangen wir zunächst beim Gameplay an: In guter Commandos-Manier steuert ihr eure Truppe über eine mit Feinden gespickte Karte, müsst dabei weitestgehend unerkannt bleiben und dafür mit viel Fingerspitzen- und Taktikgefühl vorgehen. Jeder Gegner besitzt einen Sichtkegel. Verweilt ihr zu lange darin, wird Alarm geschlagen und mit hoher Wahrscheinlichkeit werdet ihr die nächsten Sekunden nicht überleben. Macht euch darauf gefasst, häufiger ins Gras zu beißen als eine Herde amerikanischer Wasserbüffel. Dank einer sehr schnellen Speicher- bzw. Ladefunktion macht das aber überhaupt nichts und mit ein bisschen Übung feiert ihr schon bald eine Parade der wohl aufeinander abgestimmten Manöver.

Jeder Charakter besitzt unterschiedliche Fähigkeiten. Cooper ist zielsicher mit seinem Messer, Hector besitzt die Stärke eines Bären und könnte mit seiner geschulterten Falle Bianca wahrscheinlich sogar einen erlegen. McKoy versteht sich auf einschläfernde Gase und präzise Distanzschüsse, während die schöne Kate ihre Feinde bezirzt und vom Ort des Geschehens weglocken kann. Neuzugang Isabelle ist eine waschechte, zertifizierte Voodoopriesterin, kann Gedanken kontrollieren und das Schicksal zweier Feinde aneinander ketten. Plumpes Rumgeballer ist zwar möglich, aber zumeist wenig zielführend. Aufgrund des Lärms seht ihr euch schnell einer Übermacht ungewaschener Pistoleros gegenübergestellt. Hier mal ein Beispiel für ein gutes Manöver: Zwei Gegner bewachen den Schuppen, in welchem das Dynamit lagert, das wir so dringend für die Sprengung der Eisenbahnbrücke benötigen. Den einen lockt Kate dank ihrer reizvollen Art von der Tür weg, geradewegs in Hectors aufgestellte Bärenfalle. Außer Sichtweite wird der Unglückliche in einen Busch geschleift, während im selben Moment Doc und Cooper die sich nähernde Patrouille mit gekonnten Bud-Spencer-Schellen von hinten überraschen. Gefesselt und verscharrt stellen auch diese Herren keine Bedrohung mehr dar. Die letzte verbleibende Wache betäuben wir für wenige Sekunden mit Kates – nun ja – Parfüm, was uns genug Zeit verschafft, unsere Deckung zu verlassen, auf den Kerl zuzulaufen und auch ihn ohne den Einsatz einer einzigen Kugel unschädlich zu machen. Das Ganze passiert binnen weniger Sekunden und bedarf eines guten Timings. Mithilfe des Showdown-Modus könnt ihr das Spiel pausieren und eurem Team Befehle geben, die daraufhin parallel ausgeführt werden. Desperados verlangt von euch in seinen besten Momenten absolute Perfektion. Dazu sei gesagt, dass der Autor dieser Zeilen im Normalfall bei jener Art von Spielen auch damit zufrieden ist, alle Gegner lediglich auszuschalten, ganz gleich wie elegant der Weg dahin ausfällt. Frei nach dem Motto: Schleichspiele sind nur so lange Schleichspiele, bis man auffliegt, um dann wie Rambo wild um sich zu ballern. In Desperados hingegen fühlen sich gut geplante Manöver so belohnend an, dass ihr lieber noch einmal neu ins Spiel ladet, bevor ihr euch mit der Holzhammer-Methode zufriedengebt, dabei aber wertvolle Kugeln und auch Lebensenergie verliert.

Der wahre Star des Spiels sind jedoch die gigantischen, liebevoll ausgearbeiteten Karten, auf denen ihr euch teilweise für mehrere Stunden aufhaltet. Zu Beginn einer jeden Mission ist es wichtig, sich genügend Zeit für die Planung zu nehmen. Es gibt verschiedene Lösungswege. In einer Mission müssen wir einige hochrangige Ziele in einer typischen Westernstadt ausschalten. In welcher Reihenfolge und wie wir dabei vorgehen, ist uns komplett selbst überlassen. Natürlich kommt man auch durch einfaches Töten zum Ziel, doch dann würdet ihr den größten Spaß verpassen. Schaut euch um, belauscht Zivilisten bei ihren Gesprächen und erfahrt Dinge über die Karte, auf der ihr euch bewegt. „Letzten Sonntag wäre beim Gottesdienst fast die Kirchenglocke auf die halbe Gemeinde gefallen!“ – Ach ja? So ein Zufall, dass eines unserer Ziele mit einer Bande nach Whiskey stinkender Tunichtgute um diese Kirche herumstreunert. Also erklimmen wir unbemerkt den Kirchturm, fummeln ein bisschen am Glockenseil herum und beobachten mit einem diebischen Grinsen das donnernde Schauspiel. Solche Gelegenheiten bieten euch die Karten immer wieder. Von herunterstürzenden Klavieren zu vergifteten alkoholischen Getränken über Stiere, die wir mit einem gut gezielten Münzwurf provozieren und einen vorbeilaufenden Cowboy auf die Hörner nehmen lassen – Desperados drückt euch durch die Manipulation eurer Umgebung sowie die sehr unterschiedlichen Fähigkeiten eurer Charaktere einen bunten, tödlichen Blumenstrauß in die Hand. Auch die insgesamt 16 Missionen könnten kaum abwechslungsreicher ausfallen. Mal geht es um das simple Ausschalten übler Halunken, mal crasht ihr eine Hochzeit und mal lest ihr mit eurem Team verkatert die Scherben der durchgezechten Nacht auf und versucht dabei zu verstehen, warum die halbe Stadt hinter euch her ist, während die andere Hälfte mehr oder weniger in Schutt und Asche liegt.

Fazit:

Desperados bietet für viele Stunden Taktik-Action vom Allerfeinsten. Die Charaktere um John Cooper wachsen euch aufgrund ihrer Interaktion miteinander schnell ans Herz. Sämtliche Fähigkeiten wirken so gut aufeinander abgestimmt, dass wir uns zu keiner Zeit dabei erwischten, immer mit derselben Taktik auf billige Art und Weise einen Vorteil zu erhaschen. Für nahezu jede Situation braucht ihr eine neue Vorgehensweise. So muss sich ein gutes Taktikspiel anfühlen! Dass ihr nach jeder Mission noch einmal im Zeitraffer übersichtlich zusammengefasst bekommt, welche Wege und Möglichkeiten ihr gewählt habt, ist obendrein ein sehr schönes Feature. Außerdem wird durch die Beziehung des hünenhaften Hector zu seiner Bärenfalle Bianca eine der herzerwärmendsten Liebesgeschichten seit Twilight erzählt. Freunde der Echtzeit-Taktikspiele: Greift zu.

Animal Crossing: New Horizons

Es ist März.
Ich sitze zu Hause auf dem Sofa und hinterfrage mein Leben. Nicht, dass in meinem Leben momentan eh schon alles auf dem Kopf steht, nein, es wurde auch noch eine weltweite Pandemie ausgerufen, die es mir unmöglich macht, mich unter Leuten in irgendeiner Kaschemme abzulenken. Meine Lage scheint aussichtslos, da klingelt mein Telefon. „Tom Nook hier.“ Okay, woher hat dieser Typ meine Nummer? Und was ist das eigentlich für ein bescheuerter Name?
Ist mir aber dann auch egal, denn er bietet mir ein neues Leben auf einer einsamen Insel an. Inklusive Full-Service Paket. „Unseren Gästen fehlt es an nichts“ –  Ich zögere nicht lange und nehme an.

Auf zu neuen Sternen…oder eben einer neuen Insel!

Coronululu, ich komme!
Ich fühle mich unbesiegbar! Eine eigene kleine Insel. Nur für mich. Doch ich hätte besser das Kleingedruckte gelesen.
Natürlich bin ich nicht die einzige, die dieses Angebot nicht ablehnen konnte. Auch Rudi, ein grüner aufrechtgehender Esel und Dörte, ein großgewachsener, lilafarbener Frosch landen mit mir auf meinem kleinen Fleckchen Paradies. Dass ich es scheinbar nur mit humanoiden Tierwesen zu tun habe, scheint mich nicht zu stören. Aber Dörte? DÖRTE? Womit habe ich das verdient? Und auch Tom Nook und seine zwei Gefährten Nep und Schlepp scheinen die Insel so schnell nicht verlassen zu wollen.
Also aus der Traum, meinen Lebensabend als Einsiedlerkrebs irgendwo im nirgendwo ausklingen zu lassen. Dann denke ich an Tom Hanks in „Cast away“ und bin irgendwie dankbar dafür.
Allerdings hätte ich mir mein Abenteuer etwas luxuriöser vorgestellt. Es fing alles so gut an, Tom Nook hat mich sogar mit einem neuen Handy ausgestattet. Ich male mir mein neues Leben aus – ein Leben, wie aus einer Raffaello-Werbung. Ich träume von einer Holzhütte am Strand mit angrenzendem Infinity-Pool und bekomme… ein Zelt. Ein lausiges Ein-Frau-Zelt mit einer Lampe und einem Feldbett drin.
Nach dieser ersten Enttäuschung folgt die nächste Klatsche. Tom Nook – Immobilienmogul, wie er im Buche steht – zitiert mich in sein Service-Zelt und erklärt mir, dass ich zwar durchaus ein luxuriöses Leben auf Coronolulu führen könne, dafür allerdings einen Kredit abstottern müsse. Dieser wird in sogenannten „Sternis“ bezahlt, die ich durch den Verkauf von gesammelten oder eigens hergestellten Waren erhalten kann. Aus dem Nichts kommt also eine Rechnung über 50.000 Sternis für den Flug, das Zelt, meine Seele. Mir ist nach dieser Nachricht eher nach Sternanis in destillierter, alkoholischer Form zu mute. Aber was soll‘s. Jetzt bin ich schon mal hier, wieso also nicht Insekten fangen, Holz hacken oder Angeln? Im schlimmsten Fall macht es sogar noch Spaß.
Und meine Arbeit soll nicht unbelohnt bleiben. „Eine Pfote wäscht die andere“ lautet hier die Devise.  Ein Flughafen wird errichtet von dem aus ich meine Freunde und neue, unbekannte Inseln bereisen kann. Durch meine Mithilfe erhält unsere kleine Insel einen Laden, der täglich neu bestückt wird – für ausreichend Nudeln und Klopapier ist also gesorgt! Außerdem kann ich durch das Sammeln verschiedener Tiere und Fossilien beim Aufbau eines Museums helfen. Ich fühle mich nützlich. Auch wenn der angehende Museumsleiter Eugen, dessen Name besser Eulen gewesen wäre, mich durchgehend siezt und panische Angst vor Insekten zu haben scheint. Sorry, aber wer hat bitte Angst vor Schmetterlingen?

I’m leaving on a Jetplane
„Ich checke nur mal kurz, ob eine Insel für Besucher offen steht…“ Meine Nervosität steigt. Endlich wieder vertraute Gesichter sehen. Eine kurze Pause von der ständigen, körperlichen Arbeit. Wird mich jemand empfangen? „Die Insel Nublar wäre frei. Wollen Sie dort hinfliegen?“
Mittelamerika? DINOSAURIER? Klingt gut für mich. Also los geht’s – und ich warte – und warte – und es dauert – und dann beginnt endlich der Landeanflug. Meine sich ebenso in Selbstisolation befindende Freundin empfängt mich wild winkend am Flughafen. Und zu aller Überraschung sind noch weitere bekannte Gesichter auf der Insel anzutreffen. Es fühlt sich an wie auf der Gamescom, nur ohne Messetrubel und mit weniger Alkohol aber hey, endlich wieder alle beisammen.
Wir tollen gemeinsam rum, gehen im örtlichen Laden shoppen, machen verrückte Bilder im Museum und verabreden uns schon fürs nächste Mal Inselhopping auf meiner Insel.
Ich setze mich also zurück in den Flieger Richtung Heimatinsel. Pilot ist ein Dodo, dessen Name so schön klingt, wie seine Sprüche gut sind: Udo. Und nach einer halben Ewigkeit komme ich dann endlich wieder zu Hause an.

Gibt es was schöneres als Zeit mit seinen besten Freunden zu verbringen?

Stein auf Stein, oh wie fein
50.000 Sternis abzustottern war gar nicht so schwer. Ein bisschen Unkraut hier, ein paar Fische da und schwupp bin ich Schuldenfrei.
Dachte ich zumindest, denn da kommt Tom Nook mit dem nächsten Angebot um die Ecke. Ein eigenes Haus, komfortabel, Regenundurchlässig…. nur stolze 98.000 Sternis. Ich fühle mich wie ein Esel, dem eine Karotte vor die Nase gebunden wird. Ein Eigenheim. Ich mein, ich werde hier schließlich den Rest meines Lebens verbringen. Scheiß aufs Zelt und take my money.
Ich willige ein und über Nacht wird mein Traum vom Landhaus endlich Wirklichkeit. Es ist klein aber fein und ich habe endlich Platz, meine Utensilien einzulagern. Wer einen Hang zur Inneneinrichtung hat, für den wird auf Tom Nooks Insel ein Traum wahr. Bunte Tapeten, außergewöhnliche Böden, ausgefallene Möbelstücke … etliche Items, die das Innen- und Außenausstatterherz höherschlagen lassen. Ich brauche es. ALLES. Ob, als immer aufwendiger werdende Bauanleitung oder fertig gekauft, meine Sammlung wird immer größer und größer. Es ist wie eine Sucht. Ich kann nicht aufhören Dinge zu kaufen. Täglich wechselnde, exklusive Angebote im Laden, die nach 24h NIE wieder erhältlich sind. Da muss ich doch zuschlagen!
Besonders schöne Stücke bieten sich auch hervorragend als Geschenk für die übrigen Inselbewohner an – auch von anderen Inseln. Der Postservice am Flughafen macht’s möglich.
So langsam wird es auf Coronolulu richtig wohnlich und ich fühle mich bereit, meinen Flugsteig und somit meine Insel für andere zu öffnen. Kommet all in Scharen! Ich hab Äpfel da!

Eile mit Meile
Beim Inselhopping kann man sich entweder dazu entscheiden seine Freunde zu besuchen oder auf unbekannte Inseln zu reisen. Für letzteres gibt es sogenannte Meilentickets, die man für Schlappe 2.000 „Nook Meilen“ erstehen kann (Wieso ist hier alles auf Ihn gebrandet? Ich mache doch die ganze Arbeit oder hat irgendwer mal DÖRTE Holzhacken sehen?). Zum Glück kann ich nicht mit Währungen umgehen und kaufe gleich 5 Stück. Ich will hier schließlich was erleben. Wer weiß, was andere Inseln für süße Früchtchen zu bieten haben? Welche Flora und Fauna mich dort erwarten wird? Das Museum bestückt sich schließlich auch nicht von alleine und die Ressourcen auf meiner Insel sind endlich. „Flug Schokokuchen ist sicher auf der Zielinsel gelandet, spektakulär“, versichert Udo mir.
Also ab – andere Inseln abfarmen um Coronolulu great (again) zu machen… Ich bin quasi der Christoph Columbus der Neuzeit. Nur, dass ich selbst versklavt wurde. Tom Nook, du durchtriebenes, im Hawaii-Hemd getarntes Genie

Endlich ein bisschen Auszeit von dieser schnelllebigen Smartphone-Welt!

Der Druck steigt
Durch meine zahlreichen Inseleinsätze gewinnt Coronolulu immer mehr an Popularität.
Tom Nook kann sich vor Interessenten kaum retten und bittet mich, ihm beim Bau der neu entstehenden Wohneinheiten behilflich zu sein. Unentgeltlich versteht sich natürlich. „Das ist ein Wink des Schicksals. Mit dem Zaunpfahl der Insolvenz“. Ist das jetzt sein Ernst? Nach all den Sternis, die er bereits von mir eingesackt hat? Was macht er eigentlich mit dem ganzen Geld?
Da ich die ganzen Leute jedoch hergelockt habe bekomme ich Gewissensbisse und helfe. Meine Insel entwickelt sich von Haus zu Haus weiter. Bekommt sogar ein eigenes Gemeindezentrum. Mein Stadtplanerherz geht auf. Doch ich verschulde mich immer mehr. Stehe selbst der Privatinsolvenz nahe. Corona-Flashbacks holen mich wieder ein. Ich kann nachts nicht mehr schlafen… Wie zur Hölle soll ich diesen immer höher werdenden Betrag an Sternis abbezahlen? Bespitzeln Nep und Schlepp mich heimlich? Stecken Sie mit Tom, den sie ehrfürchtig „unseren großen Häuptling“ nennen unter einer Decke, oder sind sie ebenso Sklaven des von Tom vorangetriebenen Kapitalismus?
Mein Nook-Phone klingelt. „Tom Nook am Apparat“. Ich schlucke. Mal sehen, was er als nächstes für mich bereithält…


Fortsetzung folgt.

Doom Eternal

Vier Uhr morgens. Ich befand mich in meinem Arbeitszimmer. Die einzige Lichtquelle bot der Bildschirm. Groteske Szenen spielten sich darauf ab, während ich am offenen Fenster stand und genussvoll den Zigarettenrauch in die kühle, wolkenverhangene Nacht blies. Eigentlich hatte ich mit dem Rauchen aufgehört. Eigentlich. – Meine Frau und die beiden Söhne schliefen längst. „Ich muss leider noch den Test fertigschreiben“, sagte ich zu ihnen. Olivia gab mir daraufhin einen sanften Kuss auf die Stirn. „Mach nicht zu lang“, hauchte sie. Ich schwieg und lächelte verliebt, während sie die Tür hinter sich schloss, um zu Bette zu gehen. Ich wartete einen Augenblick. Noch einen. Nur um sicherzugehen. Dann erstarrte meine Mimik. Ich hatte soeben meine Frau belogen. Doch für Selbstmitleid war keine Zeit. Sie würde es ohnehin nicht verstehen. Mit verschwörerischer Miene setzte ich mir die Kopfhörer auf, knackte ein paar Mal mit den Fingern und…öffnete mit einem Doppelklick die Tore zur Hölle. Mein Blick wurde leer. Einzig die Feuer des flammenden Infernos vor mir spiegelten sich darin. Ohne genau zu wissen, wie mir geschah, merkte ich, wie mein Mund die folgenden Laute formte: „Heil Bethesda! Heil id! Heil dir, Doom! Auf ewig.”  

Zweifellos ist es eine glückliche Fügung, dass der Höllentrip im neuen Doom Eternal nach etwa zwölf Stunden beendet ist. Ansonsten wären hierzulande nicht nur sämtliche Packungen an Toilettenpapier vergriffen, sondern auch jedwede Arznei zur Blutdrucksenkung. Und Schicksale, wie oben beschrieben, würden eine signifikante Zunahme erfahren. Zwölf Stunden Spiel – und das in einer Zeit, in der sich die führenden Spieleentwickler mit der Größe von Welten und der Anzahl an Quests gegenseitig überbieten wollen – kann das gutgehen? Zur Hölle ja! Denn was hier auf den Bildschirm gezaubert wird, ist die konsequente Weiterentwicklung des 2016 erschienenen Vorgängers, welcher schon seinerzeit als erfolgreicher Neustart der Serie galt. Doch dieses Mal wurden die Schieberegler nicht nur auf Anschlag gestellt, sondern das gesamte Mischpult mit der BFG 10.000 einmal durch den Erdkern und zur anderen Seite wieder rausgeschossen.

Kleiner Augenöffner: Selten sah die Apokalypse so schick aus

Die Apokalypse ist schöner denn je, die Schauplätze sind von der tiefsten Hölle bis in die eisige Arktis abwechslungsreich und imposant ausgestaltet. Nicht selten unterbrachen wir als Doom-Slayer unseren Rachefeldzug und bewunderten das dämonische Panorama brennender Städte, endloser Lavaströme und hochhausgroßer Teufelswesen, die in der Ferne ihr grausiges Werk verrichteten. Abgesehen davon gibt es rein gar nichts, was dem „Flow“ in der gesamten Spielzeit schaden könnte. Durch die neuen Bewegungsmuster hangelt, klettert und „dasht“ ihr durch die Level, meistert gut positionierte Sprungpassagen oder nutzt diese neue Freiheit, um auch aus der Luft der Höllenbrut das Leben schwer zu machen. Damit das aber auch wirklich gelingt, verlangt euch Doom Eternal alle kognitiven Skills ab. Wir haben auf dem zweiten von vier Schwierigkeitsgraden begonnen und schnell gemerkt, dass schon eine kurze Atempause genügt, um schonungslos das Zeitliche zu segnen. Wer jetzt aber denkt, dass stumpfes Rumgeballere und ein paar jugendliche Reflexe ausreichen, um hier zu bestehen, der könnte falscher nicht liegen. Verschiedene Waffen mit unterschiedlichen Feuermodi, Glory Kills, Kettensäge, Flammenspeier und Granaten – all das bedeutet nicht nur massig Feuerpower, sondern auch den taktischen Einsatz all dieser Gerätschaften in Kombination. Was am Anfang nach einer Menge Optionen klingen mag, wird schnell zur Existenznotwendigkeit. Jedes Element hat seine Daseinsberechtigung und erwartet den zielgerichteten Einsatz. Und das alles, während ihr von sechsbeinigen Gehirnen mit Bordgeschütz, kleinbusgroßen Dämonen und gefühlt auch allen anderen Schrecken der Unterwelt verfolgt werdet. Glory Kills geben euch Lebensenergie zurück, mit der Kettensäge bearbeitet ihr euer Gegenüber wie eine Fleischpiñata, um an die Munition zu gelangen, die sich sämtliche Gegner in großer Menge einverleibt haben. In Brand gesetzte Monster lassen lebensnotwendige Rüstung fallen und mit der Eisgranate kann sich der vorne schwer gepanzerte „Pinky“ bewegungsunfähig gemacht werden, um seine Schwachstelle von hinten effektiv bearbeiten zu können. Schwachstellen, genau! In Doom Eternal ist es wichtig, den Feind zu kennen und wie er am besten zu Kleinholz verarbeitet werden kann. So büßt der Mancubus massiv an Feuerkraft ein, entfernt ihr ihm mit gezielten Schüssen seine beiden Armkanonen. Besonders schwierig gestaltet es sich beim schlau agierenden Marauder. Dieser wird nur für den kurzen Moment seines Angriffs verwundbar. Die restliche Zeit wehrt er Projektile jeder Art mit seinem Schild ab. Steht ihr zu nah an ihm dran, pustet er euch mit seiner Schrotflinte über die halbe Karte, steht ihr zu weit weg, kommen seine sehr gezielten und genauso schmerzhaften Fernangriffe zum Einsatz. Kennt den Feind und werft ihm alles entgegen, was ihr habt. Beherrscht ihr den Umgang mit diesen Mechaniken entfaltet sich ein Spielfluss, der euch mitreißen und gänzlich verschlingen wird.

Das Schweizer Taschenmesser des Doom-Slayers: Die Crucible Blade

Doch was ist eigentlich mit der Story? Also, es gibt eine. Und die ist auch gar nicht so übel und bietet einen angenehmen Rahmen für die mehrstündige Gewaltorgie. Ihr könnt sogar kleine Schriften aufsammeln, die euch mit Hintergrundinformationen zu allem Möglichen versorgen. Das alles liest sich nett und erzeugt während des Spielens das Gefühl, ein konkretes Ziel zu verfolgen. Im Nachhinein ist bei uns jedoch nicht allzu viel davon hängengeblieben. Zu sehr waren wir damit beschäftigt, sämtliche Welten mit Dämoneninnereien zu verzieren. Der Doom-Slayer bleibt auch weiterhin ein eher stummer Zeitgenosse, der stattdessen lieber mit brachialen Handlungen überzeugt. Und was für welche. Während Rachegott Kratos mittlerweile zum weichgespülten Familienvater avanciert ist, würde unser Master Chief auf Anabolika für ein paar Rollen Klopapier mit einem Panzer geradewegs durch sämtliche Wohnhäuser zum nächsten Supermarkt brettern – einfach, weil es der schnellste Weg wäre.

Fazit:
Nein, Doom Eternal ist kein leichtes Spiel. Immer wieder lässt es euch Dämonensch**** fressen, ist dabei jedoch zu keinem Zeitpunkt unfair. Wenn ihr sterbt, war es euer eigener Fehler. Wenn ihr jedoch lernt, erlebt ihr das berauschende Gefühl einer virtuellen Raserei, die nahezu perfekt ist. Der grandiose Soundtrack mitsamt diabolischer Riffs und pumpender Beats klingt fett und treibt euch immer weiter in den Schlund der Hölle. Jeder, der auch nur annähernd mit dem Gedanken an einen solchen Höllentrip spielt, sollte sich ernsthaft überlegen, diesen Ritt auf der Bestie zu wagen. Die Jungs und Mädels von id Software zeigen dem aktuellen Shooter-Genre den Mittelfinger und lassen euch im Flammen-Tsunami surfen…wenn ihr euch traut.

Dreams

Trommelwirbel! Am 14. Februar 2020 verlässt Dreams den zehnmonatigen Early Access und steht als Full-Release für willige PS4-Spieler zur Verfügung. In den nächsten Zeilen schildere ich meine Erfahrungen mit dem Sandbox-Spiel und verrate, ob der Titel für euch interessant sein könnte. Doch fangen wir ganz am Anfang an: Was ist Dreams überhaupt?

Der Titel von Media Molecule, die unter anderem auch für Little Big Planet verantwortlich sind, teilt sich in zwei Aspekte auf. Nach einem kleinen Tutorial, welches euch mit der Steuerung vertraut macht, steht ihr vor der wichtigsten Entscheidung im Hauptmenü. Wollt ihr euch kreativ austoben und selbst neue Spielwelten erschaffen oder einfach auf vorgefertigte Level des Herstellers und der Community zugreifen? Natürlich lebt ein solches Spiel von der Beteiligung der Community, eben auf von Spielern generierten Content. Mit Schweißperlen auf der Stirn fühle ich mich wieder wie bei Little Big Planet. Dort bin ich in der Vergangenheit zu mindestens neunzig Prozent der Zeit in die Consumer-Rolle geschlüpft. Spätestens wenn ich die herausragenden Kreationen wie den funktionierenden Taschenrechner auf YouTube gesehen habe, war ich voller Demut ob der Möglichkeiten, die einem hier geboten wurden.

Doch dieses Mal wollte ich es wagen und auch selbst basteln. Also ab in den Creator Mode! Stück für Stück öffnet sich Dreams immer weiter, einfache und komplexe Mechaniken werden im wahrsten Sinne spielend ergänzt und drängen sich nicht auf. Nach kurzer Zeit fängt man an, Level zu konstruieren – das alles in 3D. Mein Endergebnis löst noch keine Begeisterungsstürme aus, aber ich werde auf jeden Fall am Ball bleiben und an weiteren Levels basteln. Am Anfang ist es sehr ungewohnt, mit dem Bewegungssensor des PS4 Dualshock Controller zu arbeiten, aber mit der Zeit kommt die Ruhe und die Genauigkeit hinzu und wir steuern unseren Imp zielgenau über den Bildschirm.

https://psmedia.playstation.com/is/image/psmedia/dreams-screen-14-ps4-eu-16jun15?$MediaCarousel_Original$

Also jetzt ab in die spielbaren Level. Media Molecule hat eine Handvoll fertiger Experiences integriert. Besonders hervorheben möchte ich an der Stelle „Arts Traum“. Von Point & Click bis hin zu 3D Jump’n’Run Elementen wird hier mehr als nur ein Eindruck vermittelt, was alles gebastelt werden kann. Ich war teilweise überrascht wie sehr Dreams im grafischen Bereich die Muskeln spielen lässt. Mitunter erfreut man sich an großartigen Lichteffekten und schönen Animationen. Das absolute Highlight von Dreams ist natürlich der nicht versiegende Quell an neuem Content. Momentan sind die „Spiele“ mit den meisten Upvotes primär nachgebaute Szenarios. Ein kleiner Teaser für ein Tomb Raider Level? Eine Fallout 4 Demo? P.T. nachgebaut? Dreams got you covered.

Wie immer ist die besondere Schwierigkeit, in dieser Fülle von Content die Perlen zu finden. Das Voting System und die Trends helfen dabei ungemein. Die Art und Weise, wie kreative Köpfe sich hier ausleben können, wird in den nächsten Jahren noch häufig für staunende Gesichter und offene Münder sorgen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass zukünftige Bewerbungen für Entwickler komplett in Dreams entstehen können. Visitenkarte 4.0 in the making.

Fazit:
Final kann ich sagen, dass mich das spielbare Tool Dreams komplett überzeugt hat. Aufgrund der Benutzerfreundlichkeit kann ich mir vorstellen, dass der Consumer- vs. Creator-Anteil sich dieses Mal besser verteilt als bei Little Big Planet 3 in der Vergangenheit. In den nächsten Monaten wird es eine wahnsinnige Anzahl an kreativem Output geben, welchem ich sehr entgegenfiebere. Wir wünschen viel Vergnügen beim Träumen.

Heave Ho

Nachdem uns die Meldungen über verschobene Releases in den letzten Wochen zuhauf erreichten, lassen die nächsten großen Blockbuster noch ein bisschen auf sich warten. Warum also nicht mal schauen, welche kleineren Titel erschienen sind, nachdem nun Milliarden von virtuellen Kugeln bei Call of Duty verschossen und zigtausende (unschuldiger) Monster in Iceborne zu neuen Stiefeln umfunktioniert wurden? In Heave Ho gibt es Mord und Totschlag nur für euer Zwerchfell.

Das kooperative Partyspiel von Le Cartel Studio und Devolver gibt euch ein konkretes Ziel vor: „Don’t fall to your death!“ – Aufs einfachste heruntergebrochen handelt es sich bei Heave Ho um ein Geschicklichkeitsspiel, in dem euer größter Feind die Schwerkraft ist. Ihr findet euch in einer zweidimensionalen Welt wieder, in der es meist darum geht, vom linken zum rechten Bildschirmrand ins Ziel zu gelangen. Das ist mitunter sehr schwierig, denn der Weg wird allenfalls durch ein paar in der Luft schwebende Elemente vorgegeben, an denen ihr euch entlanghangeln müsst. Problem: Ihr seid ein Kopf mit Armen. Ganz recht, ein Kopf mit Armen. Das sieht nicht nur im positivsten Sinne total behämmert aus, sondern ist entscheidend für das Gameplay. Eure einzige Möglichkeit, sich fortzubewegen, ist mittels linkem und rechtem Trigger die jeweilige Hand zu schließen und sich an allem festzuhalten, was in die Reichweite eurer Griffel gelangt. Indem ihr Schwung holt könnt ihr Hindernisse überwinden. Zur Lachorgie wird das Ganze aber erst, wenn ihr euch mit bis zu 4 Personen vor der Konsole versammelt, denn dann entfaltet Heave Ho sein volles Partypotenzial. Wenn vier haar- und beinlose Orang-Utans versuchen, mittels Festhalten eine Kette zu bilden und durch Pendelbewegungen den richtigen Moment abpassen, um über eine Schlucht zu schwingen, dabei aber stattdessen Hand in Hand dem Boden entgegen rasen und die eigene Spielfigur Geräusche wie „Höhähühöä“ von sich gibt, bleibt kaum ein Auge trocken.

 Ohne Teamwork funktioniert hier nichts. Wie schon Gimli vor den Toren von Helms Klamm, braucht auch ihr mindestens einen Aragorn, der euch wirft. Doch schafft es jemand mal nicht ins Ziel oder geht im Laufe des Levels „verloren“, können die anderen einen Rettungsballon losschicken, der immerhin durch geschicktes Manövrieren seiner Bestimmung zugeführt werden muss. Erreicht keiner der Spieler das Ende des Levels, erscheinen nach etwa zehn Minuten Hilfselemente, an denen man sich über schwere Hindernisse hinweghangeln kann. Somit kann das Spiel auch jenen empfohlen werden, die weniger mit der Materie vertraut sind. Gleichzeitig bleibt das Spiel sehr knackig, entscheidet man sich gegen solche Hilfsmittel.

Das Leveldesign reicht von Dschungellandschaften über Zirkusmanegen, bis hin zum Panorama des Mount Fuji. Ständig wird ein neues Gimmick eingeführt: Gelegentlich sind Plattformen unsichtbar, ein anderes Mal nehmen euch wild kotende Vögel die Sicht und hin und wieder schreitet ein pupsendes Lama genüsslich durchs Bild. Uns hat der stumpfe Humor sehr gut gefallen. – Heave Ho lädt zum physikalischen Experiment ein und erzeugt dadurch immer wieder legendäre „Was soll’s“-Momente. Sind diese ohne jede Absicht von Erfolg gekrönt, dann seid euch sicher, wird dies ein goldener Moment der Freundschaft und der Glückseligkeit. Lasst ihr bei der nächsten Aktion aufgrund einer spontan entstandenen Links-Rechts-Schwäche euren Kameraden in ein Meer aus Stacheln fallen, steigert das hingegen die Backpfeifengefahr, mindert den Spielspaß jedoch in keinster Weise. Und wem das alles noch zu einfach ist, der kann in jedem Level Bonusmünzen sammeln und hin und wieder auch –level mit witzigen Minispielen freischalten. Für die gesammelte Währung können weitere Kostüme für euren Kopfarmler freigeschaltet werden.

Geht auch manchmal: Ohne Teamwork, stattdessen chaotisch und unkoordiniert ins Ziel. Wer zurückbleibt, wird ausgelacht.

Fazit:
Die quirlige Physik, die dümmlichen Gesichter und das ein oder andere Hauruckmanöver sorgen in jedem Fall für viele spaßige Abende. Spätestens wenn man herausgefunden hat, wie man sich gegenseitig durch das Level „boxen“ kann, gibt es kein Halten mehr. Man beginnt selbst die Geräusche, die die Figuren von sich geben, nachzumachen. Das Spiel befriedigt auf subtile Weise unseren inneren prä-pubertären Teenager, ohne dabei lächerlich oder langweilig zu werden und fordert zur selben Zeit unsere motorischen Fähigkeiten am Pad. Wer auf der Suche nach einem Titel für geballten Couch-Koop-Spaß ist – Heave Ho

Pokémon Schwert & Schild

„Ein Pokéball sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden“. – So ungefähr könnte der Klappentext der beiden neuen Editionen Schwert und Schild lauten. Stattdessen aber lockt die Monsterhatz der 8. Generation mit rund 400 Pokémon, verstreut in der neuen, dem vorindustriellen England nachempfundenen Galar-Region. Nach Pokémon Let’s Go Evoli und Let’s Go Pikachu erwartet uns das erste „richtige“ Abenteuer aus dem Hause Game Freak auf der Switch. Ob mit Schwert und Schild aber der große Wurf gelungen ist, oder ob man sich der Kritik im Netz beugen muss, lest ihr hier.

Eines vorweg: Wem das Spielprinzip der Pokémon-Reihe nicht geläufig ist, dem sei empfohlen, sich auf dem nächsten Flohmarkt für ein paar Credits einen Gameboy mitsamt einer der früheren Editionen zu besorgen. Es handelt sich um eine Erfolgsformel, die seit jeher funktioniert und nicht zuletzt auch auf dem Smartphone dafür sorgt, um zehn Uhr abends nochmal um den Häuserblock zu gehen, damit das verdammte Ei endlich ausschlüpft. Fangen, Kämpfen, Leveln – diese drei Grundpfeiler halten das Franchise seit Ende der 90er am Leben. Und so lange dieses Skelett mit immer neuen Taschenmonstern und Welten angefüttert wird, kann wenig schiefgehen.

Die neuen Pokémon sind vielfältig und herrlich abgedreht. Die extrem abwechslungsreich gestaltete Galar-Region weiß durchaus zu begeistern und mit den Raids wird eine schon vom Smartphone bekannte Komponente hinzugefügt, die es erlaubt, sich mit mehreren Spielern gegen stärkere Monster zu verbünden. Solche Events finden in der sogenannten Naturzone statt, die einem Open-World-Areal am nächsten kommt und wo zahlreiche unterschiedliche Pokémon, abhängig von Uhrzeit und Witterungsbedingungen, gefangen werden können. Wenn ihr nicht gerade dort unterwegs seid, erkundet ihr mit eurem wasserfähigen Fahrrad die bunte Welt, genießt dabei den hübsch komponierten Soundtrack und strebt eurer Karriere als nächster Pokémon-Champion entgegen.

Die Arenakämpfe mit ihren Dynamax-Showdowns zählen ganz klar zu den Highlights

Klar, im Vergleich zu einem Breath of the Wild ist das Open-World-Gefühl ein Witz. Auch dass mit unserem Rivalen und Freund, der den klangvollen Namen Hop trägt, einer der nervigsten Charaktere der gesamten Pokémonhistorie eingeführt wurde, ist nicht zu verachten. Und ja, zumeist ist das Spiel einfacher, als einem Karpador das Erbärmlichsein beizubringen. Wer jedoch ein Anhänger der Reihe ist, sollte doch eigentlich nur bedingt überrascht sein. Aber warum war der Aufschrei im unmittelbaren Release-Zeitraum dennoch so enorm? Warum ist das Internet gespalten in diejenigen, die es heiß lieben und diejenigen, die es für die schlimmste Erfindung seit dem Nintendo Power Glove halten?

Wer Nintendo liebt und im besten Falle damit aufgewachsen ist, hat möglicherweise viele Stunden seines Lebens mit Mario, Zelda und Pokémon verbracht. Während die ersten beiden Titel zuletzt mit frischen, mutigen Ideen, ohne nennenswerte Kontroversen bedingungslosen Spielspaß brachten, erhoffte man sich ähnliches vom ersten vollblütigen Pokémon auf der Switch. Eine offene, weitläufige Welt, die zu hunderten von Stunden erkundet werden kann, sollte nicht mehr länger nur ein Traum sein. Und dazu noch mehr Pokémon als Krog-Samen in Breath of the Wild! Take my money! – Die Realität sieht aber leider anders aus. Die Welt ist zwar stimmig, aber weder groß, noch besonders hübsch. Grafik und Animationen entstammen gut und gerne einer früheren Konsolengeneration. Game Freak sprach von überforderten Entwicklern, für die Fans jedoch nur ein schwacher Trost, wenn obendrein zahlreiche ihrer liebsten Monster kurzerhand aus dem Spiel gestrichen wurden.

Die Städte hübsch gestalteten laden zum Flanieren, Shoppen und natürlich Kämpfen ein

Ja, die Kritik der Spielerschar ist berechtigt. Es hätte der heilige Gral der Serie werden können und für manche ist er das vielleicht auch. Aber machen wir uns nichts vor: Mehr wäre schon schön gewesen. Ist es deswegen aber ein schlechtes Spiel? In keinster Weise. Die Suchtspirale greift wie eh und je, der Wille, sein Team für die kommenden (Online-)Kämpfe aufzustellen und zu perfektionieren, ungebrochen. Und auch wenn es „nur“ etwa 400 Pokémon sind, wird einige Zeit ins Land gehen müssen, bis diese eingetütet sind. Während des Testens kam zu keiner Sekunde Langeweile auf und auch nach dem Durchspielen wird das Spiel nicht so schnell wieder in seiner Hülle verschwinden. Die matschigen Texturen sind zwar nicht sonderlich hübsch, fallen bei längerer Spielzeit – vor allem im Handheld-Modus – deutlich weniger auf. Jede neu entdeckte Stadt lässt den Wunsch aufkommen, jeden Winkel zu erkunden und entlockt einem mitunter sogar ein „Guck mal, wie hübsch!“. Es ist nicht das Pokémon-Spiel unserer Träume, aber es ist ein gutes Spiel, mit dem jeder eine Menge Spaß haben kann, bei dem der Stachel der Enttäuschung nicht zu tief sitzt. Neue Monster, neue Welt. Fangen, Kämpfen, Leveln – die Erfolgsformel funktioniert.

Greedfall

Als Fan älterer Bioware-Spiele wie Dragon Age: Origins, Baldurs Gate oder auch Mass Effect hat man es in heutigen Zeiten nicht leicht. Bioware ist nur noch ein Schatten seiner Selbst und nach Mass Effect: Andromeda oder auch Anthem ist die Vorfreude auf den nächsten Dragon Age Teil nur noch gedämpft vorhanden. Nun wagt sich das kleine französische Studio Spiders mit vergleichsweise geringem Budget und wenig Manpower an ein Spiel, bei dem die Zeichen von Anfang an auf Rollenspiel-Geheimtipp standen.

Mit Greedfall schickt uns Spiders in ein alternatives, barockes Europa des 17. Jahrhunderts. Die Kolonialisierung der Welt ist im vollen Gange. Die Entdeckung und Ausbeutung der neuen Welten ist das liebste Hobby der Reichen und Mächtigen. In der Hafenstadt Serene ist in dieser Zeit eine mysteriöse Seuche ausgebrochen, die sogenannte Malichor-Pest. Als Sprössling der Familie De Sardet werden wir als Cousin (oder auch Cousine) des Gouverneurs auf die Insel Teer Fradee entsandt, da hier eine Heilung der Krankheit vermutet wird. Jedoch ist die Insel unter verschiedensten Fraktionen aufgeteilt und als Botschafter ist unser erstes Ziel zunächst das Vertrauen der Fraktionen und auch der Eingeborenen zu gewinnen. Kein leichtes Unterfangen, denn diese Fraktionen sind im offenen Konflikt miteinander.

Wenn man sich die Story des Spiels genauer durchliest und dabei berücksichtigt, dass das Spiel einem auch noch die verschiedensten Companions zur Seite stellt, mit denen man nicht nur immer in einer Dreiergruppe unterwegs ist, sondern auch noch Liebesbeziehungen eingehen kann, schlägt das Bioware Herz direkt höher. Beim ersten Starten des Spiels folgte leider auf den ersten Blick Ernüchterung. Spiders ist „nur“ ein AA Studio und kann mit dem Budget einer Firma wie Bioware in keinster  Weise mithalten. Im ersten Moment erscheint alles ein wenig hakelig. Die Steuerung ist nicht sehr präzise, das Echtzeit-Kampfsystem überfordert einen und die Grafik ist nicht die hochwertigste und auch die Framerate macht ihre Mucken. Das sind zwar alles Probleme, mit denen ich im Vorfeld gerechnet habe, im ersten Moment hat es mich dennoch gestört.

Erst auf den zweiten Blick schlägt die Faszination hinter Greedfall voll ein. Die Steuerung geht nach ein paar Einstellungen im Menü besser von der Hand, das Kampfsystem entwickelt eine ungeheure Tiefe, mit welcher ich im Vorfeld nicht gerechnet habe und durch die unfassbar tolle Ausleuchtung und das grandiose Artdesign des Spiels fällt einem die angestaubte Optik schnell nicht mehr auf. Nach dem ersten Level-Up folgte bei mir auch schnell der nächste Große „Aha-Effekt“ des Spiels. Ich hatte zwar durchaus mit einem ernstzunehmenden Rollenspiel gerechnet, das Endergebnis hat mich dann doch überrascht. Der Entwicklungsbaum erstreckt sich über drei große Oberbegriffe. Es gibt einen Fähigkeiten-, einen Attribute und einen Talentbaum. Im umfangreichen Fähigkeitenbereich verstecken sich nützliche Zauber, aber auch sinnvolle kleinere Perks wie mehr Nahkampfschaden. Bei den Attributen finden sich die rollenspieltypischen Attribute wie Stärke oder Geschicklichkeit, die einem den Weg zu neuen Waffen und Rüstungen ebnen. Hinter den Talenten verstecken sich nützliche Werte wie Charisma, mit denen man Gespräche manipulieren kann (sehr nützlich) oder Schlösserknacken. Allein durch die schiere Anzahl an verschiedenen Möglichkeiten kann man sich von Beginn an direkt wunderbar in seinen Charakter und die Planung der Werte hineinfuchsen.

Doch die Möglichkeiten enden nicht bei der Charktererstellung und –planung. Das Questsystem ist angenehm frei und vielseitig. Bereits bei einer der ersten Nebenquests – wobei generell fast immer schöne kleine Geschichten erzählt werden – hat man viele Entscheidungsmöglichkeiten. Die Aufgabe ist eigentlich recht einfach: Gehe zu einem Lagerhaus und beschaffe daraus ein Buch. Der Auftraggeber, der auch einer der Begleiter ist, gibt einem jedoch schon mit auf dem Weg, dass er es nicht gerne sehen würde, wenn man zu viele Personen im Lagerhaus umbringt. Man hat nun die Wahl, dennoch hinzugehen und alles mit todbringender Gewalt zu lösen, man könnte sich jedoch auch die Uniform der Wachen besorgen und unbehelligt durch das Lagerhaus streifen. Man könnte aber auch mit einer der Wachen reden und diese mit Charisma oder Bestechung von seinen Absichten zu überzeugen. Wer es besonders kreativ mag, serviert ihnen stattdessen einen mit Schlafmittel versetzten Wein und wartet, bis alle eingeschlafen sind. Die Ausgänge der Quests sind vielfältig und oft entscheidet die Vorgehensweise, wie sehr man einem Begleiter einen Gefallen getan oder eben sein Missfallen auf sich gezogen hat. Weiterhin gibt es Fraktionsquests, um das Ansehen bei den jeweiligen Fraktionen zu steigern. Doch Vorsicht: Was bei den einen zu Wohlwollen führt, kann bei den anderen wahre Feuer der Feindseligkeit entfachen. Dass man durch eine unterschiedliche Begleiterwahl unterschiedliche Dialogoptionen hat und die verschiedenen Charaktere sich mehr oder weniger sympathisch sind, erzeugt nochmal mehr Tiefe.

Durch das gewählte Thema der Kolonialisierung scheut sich das Spiel auch nicht, düstere Kapitel der Geschichte aufzuschlagen. Überall herrscht Rassismus, die Eingeborenen werden ausgebeutet und unterdrückt und flüchten sich in eine Art Guerillakrieg. Die Leidtragenden sind wie so oft die einfachen Bürger und Händler. Da man nicht nur die Art und Weise, wie man eine Quest angeht, sondern auch oft ihren Ausgang mitbestimmen kann, bleibt einem meist nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. „Was ist jetzt die Auswahlmöglichkeit, mit der ich mich am wenigsten schlecht fühle?“, ging es mir dabei öfter durch den Kopf.

Das nächste kleine Highlight ist die Welt. Teer Fradee besticht mit wunderschönen Orten. Die einzelnen Städte sind von ihrer Architektur bereits beeindruckend, doch die Flora und Fauna und die an The Witcher erinnernde,  Tier- und Monsterpopulation laden zum Erkunden und Kämpfen ein. Prinzipiell findet man immer eine interessante Location, eine kleine Belohnung oder ein kleines Stück Worldbuilding. Die Insel ist dabei in mehrere offene Areale unterteilt und über einige Schnellreisepunkte miteinander verbunden (ganz im Stile von Dragon Age: Inquisition). Hier hat sich noch ein interessantes kleines Detail versteckt, denn die Ladezeiten zwischen den Gebieten werden hinter einem Lageraufenthalt versteckt, während dem man unter stärkeren Frame-Einbrüchen mit Begleitern reden oder auch shoppen gehen kann.

Die ersten Stunden vergehen wie im Fluge und schnell sind einem die Limitierungen des Spiels gar nicht mehr präsent. Mit zunehmender Spielzeit werden jedoch einige Schwächen des Spiels offenbart. Das Schnellreisesystem ist leider bei weitem nicht perfekt, so dass es schnell zu viel Backtracking kommt, was in späteren Spielzeitregionen wirklich nervt. Wenn man sich anfangs, dank des ausgeklügelten Kampfsystems und den tollen Skills und Zaubern, noch über jeden Feind und jeden Kampf freut, macht sich mit der Zeit bemerkbar, dass die Gegnervielfalt nicht mit einem AAA-Spiel mithalten kann und man schnell immer wieder die gleichen Viecher bekämpft. Das dämpft natürlich die Vorfreude auf einen Kampf enorm.

Das Spiel ist also ganz klar ein Zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite hat man eine Welt, Charaktere, Questdesign und Dialoge, die in ihren besten Momenten locker mit alten Bioware Perlen mithalten können. Auf der anderen Seite steht das Gerüst eines AA-Spiels. Hier und da fehlt Polishing, am Ende merkt man, dass Budget und/oder die Entwicklungszeit ausging. Die Optik kann kaum mit einem aktuellen Spiel mithalten (das Art Design dafür umso mehr!). Ich persönlich liebe jedoch kleine und (über-)ambitionierte Rollenspiele. Ich habe (trotz der Entstehung und der Personen dahinter) ein Herz für Kingdom Come Deliverance und ich liebte auch Elex. Somit ist die Review dieses Spiels vielleicht etwas vorgefärbt. Wer nicht mit Nostalgie an alte Biowaretage zurückdenkt und wer nicht über die von mir genannten Schwächen hinwegsehen kann, sollte meine Review zum Spiel kritischer lesen als ich sie möglicherweise geschrieben habe. Ich hatte jedoch großen Spaß mit Greedfall und wurde von der Welt in meinen Bann gezogen. Für Leute wie mich kann ich dem Spiel somit eine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen. Alle anderen sollten sich einfach bewusst sein, dass Greedfall seine Schwächen hat, die von jedem am Ende anders gewichtet werden können. Ich persönlich würde Greedfall als ungeschliffenen Rohdiamanten bezeichnen.