Indie

Die Indie Arena auf der Gamescom 2019 – Die Messe auf der Messe

Köln. Der Mittelpunkt der Gaming-Welt verschob sich in der vergangenen Woche wieder einmal in die Domstadt am Rhein. Mit insgesamt über 373.000 Besuchern konnte ein neuer Besucherrekord aufgestellt werden. Borderlands 3, Call of Duty, Need for Speed, Cyberpunk 2077 – sie alle waren am Start und machten nicht zuletzt mit Warteschlangen von über vier Stunden auf sich aufmerksam. Pompös präsentierten sich die Spieletitanen und geizten nicht mit Fanservice in Form eines aufwendig gestalteten Standes mitsamt eigener Cosplay-Truppe, lebensechten Figuren, die als Fotovorlage dienten und natürlich mit bombastischen Trailern, die in ohrenbetäubender Lautstärke in Dauerschleife abgespielt wurden. Wahrlich ein Spektakel. Doch wie in einer aktuellen Pressemitteilung zu lesen ist, freut sich Super Crowd Entertainment GmbH, die als Schirmherren der Indie Arena Booth fungieren, über die Verleihung des Awards für den besten Stand auf der Gamescom. Wir haben uns der Sache angenommen und Halle 10.2 der Koelnmesse einen Besuch abgestattet.

Ein kurzer Zeitsprung ins Jahr 2012: Auf 40m² finden sich insgesamt zehn Spiele und nur ab und zu verirrt sich ein Messebesucher hierhin, da er vermutlich eine kurze Verschnaufpause vom krawalligen Messewahnsinn braucht. Sieben Jahre später ist aus der kleinen Indie-Ecke eine 1500m² große Oase der Indiespielwelt geworden. 108 Entwicklerteams aus 36 Ländern stellen ihre Spiele vor, die weniger mit einem dicken Budget aufwarten, dafür aber mit besonderem Ideenreichtum begeistern können. Es ist eine Erfolgsgeschichte, die sich vielleicht unter dem Radar des ein oder anderen Messebesuchers abspielt, sich aber dennoch stetig fortsetzt. Neben reichlich Platz für weitere Spiele ist mittlerweile auch das Indie Kola Streaming Studio mit an Bord. Wen also die Füße nicht mehr tragen, der nimmt in einer der vielen Sitzmöglichkeiten Platz und kann sich live vor Ort von interessanten Gesprächsthemen und Gästen aus der Indiewelt berieseln lassen.

Ein besonderer Pluspunkt kommt dem Awardgewinner der „Best Booth“ dadurch zu Gute, als dass er mit keinen großen Wartschlangen aufwartet – und dies selbst am ausverkauften Besuchersamstag. Doch selbst wenn ein, zwei Leute eher an der Tastatur oder am Pad sind, kann man ihnen problemlos über die Schulter schauen oder sich wahlweise mit einem der Entwickler des entsprechenden Spiels unterhalten. Gerade letztere machten auf uns oftmals den Eindruck, uns wirklich etwas erzählen und in ein Gespräch verwickeln zu wollen. Es sind die (meist) jungen Wilden der Gaming-Branche. Kein Marktforschungsunternehmen sagt ihnen, was 2019 besonders angesagt ist, kein PR-Manager legt ihnen Worte in den Mund. Und genau deshalb fühlen sich die Gespräche organisch an, genau deshalb wurde bei uns ein extremes Interesse geweckt, sich in die Spiele zu investieren. Es ist nicht ganz einfach zu erklären, aber es ist etwas anderes, ein Spiel zu spielen, wenn man eine persönliche Erfahrung mit dem Menschen hat, der es entwickelt. Man achtet mehr auf bestimmte Dinge und versucht wertschätzender an ein Spiel heranzugehen. So wie man vor einem Picasso-Gemälde vielleicht ein paar Minuten länger verweilen würde, hätte man mit ihm vormals einen Wein auf seiner Terrasse getrunken. – Wie eingangs erwähnt gab es über hundert Spiele zum Ausprobieren. Ein paar davon wollen wir euch hier gerne näherbringen:

Speaking Simulator:

Simulatoren gibt es wahrlich von allem, was man sich ausdenken kann – Warum nicht also auch vom Sprechen? Das dachten sich die beiden Entwickler Jed Dawson und Jordan Comino als sie ihren spielgewordenen Großangriff auf die Lachmuskeln entwickelten. Die Handlung ist schnell erzählt: Ihr seid eine außerirdische A.I., die – um die Menschheit zu infiltrieren – ihre Umgangsformen lernen muss. Während ihr mit der Maus den Kiefer in die von den Pfeilen angezeigte Richtung bewegen müsst, navigiert ihr mit den Pfeiltasten die Zunge durch die Mundhöhle und müsst dabei aufleuchtende Knöpfe in der richtigen Reihenfolge treffen. Die Folge ist eine Gesichtskirmes, die einen Jim Carrey wie einen Tom Hanks aussehen lassen würde. Im Testlevel befinden begeben wir uns auf ein Date, um gleich mit der schwierigsten Form der menschlichen Konversation zu beginnen: Dem ausgelassenen Flirt. Charmant wie wir uns zur Aufrechterhaltung unserer Tarnung geben müssen, formulieren wir Sätze wie: „As a warm blooded human being, I find you quite attractive“. Freunde des abgedrehten Surgeon Simulator würden auch hier vermutlich viel Freude finden.

Link: https://www.affablegames.com/

Mosaic:

Grau und trist geht es weiter mit Mosaic, einem Spiel des norwegischen Entwicklers Krillbite Studio. Als Kommentar auf die Monotonie unserer heutigen Zeit, geprägt durch immer dieselben Arbeitsabläufe und unserem kleinen digitalen Taschendiktator, versprüht das Spiel schon zu Beginn einen besonderen Reiz. Allerdings wird durch mysteriöse Umstände dieser Kreislauf der Routine unterbrochen und es beginnt ein surreales Abenteuer. Als dystopischer Spiegel unserer Gesellschaft, der sich mit manch einer Botschaft scharf an der Grenze zur Realität bewegt, freuen wir uns auf dieses düstere und atmosphärisch dichte Adventure-Game.

Link: http://www.themosaicgame.com/

A Juggler‘s Tale:

Wunderschön und sehr liebevoll wird es mit A Juggler’s Tale, dem von Dominik Schön, Enzio Probst, Steffen Oberle und Sven Bergmann entwickelten Sidescroller. Versehen mit zahlreichen Puzzle- und Rätselaufgaben besticht das Spiel vor allem durch seinen Grafikstil, wobei sich Charaktere wie aus einem Puppenstück an Fäden hängend durch die Welt bewegen. Letztere fungieren gleichermaßen als zentrale Spielmechanik. In der Rolle des Mädchens Abby seid ihr eurem unfreiwilligem Dasein als Zirkusartistin der Manege entkommen in eine unbekannte Welt, deren Geheimnisse ihr nun erforschen müsst.  Es ist das bunte und märchenhaft geratene, uneheliche Kind von Limbo und Little Nightmares, das sich schnell in unser Herz geschlichen hat.

Link: https://ajugglerstale.com/

Cybershadow:

Durchaus bekannt könnte dem ein oder anderen Cybershadow aus dem Hause Yachtclub Games sein. Diese haben auch schon die Shovel Knight Spiele zu verantworten und setzen in bester Tradition auf das, was sie können: Platformer-Action vom Feinsten. Das Setting ist eine düstere, von Ruinen durchzogene Zukunftswelt, in der man es als Ninja mit synthetischen Lebensformen aufnimmt. Der wundervolle Pixel-Look funktioniert super in Kombination mit der treibenden Retromusik. Wer die Vorgänger kennt, der weiß, dass es hier um Timing und passgenaue Sprünge geht, da sonst ganz schnell die Lichter aus sind. Wem auch The Messenger gefallen hat, sollte sich Cybershadow vormerken.

Link: https://yachtclubgames.com/cyber-shadow/

Wer wirklich zum Zocken zur Gamescom kommt, der sollte entweder eine goldene Eintrittskarte besitzen oder der Indie Arena Booth einen Besuch abstatten. Auch mir ist es schon passiert, dass ich drei Stunden in einer Warteschlange für ein Spiel stand, um anschließend nur einen Trailer gezeigt zu bekommen, der an meiner Kaufentscheidung so gar nichts ändern konnte. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt von der Indie Arena gewusst, hätte ich meine Zeit mit Sicherheit ein wenig anders aufgeteilt. Nicht falsch verstehen: Wir lieben unser jährliches Call of Duty, wir lechzen nach der nächsten Loothatz in Borderlands 3, aber manchmal erinnern Orte wie die Indie Arena Booth daran, wie man vielleicht vor einiger Zeit zum schönsten Hobby der Welt gekommen ist. Nicht durch den zehnten Teil einer Spielereihe, von der man weiß, was man bekommt, sondern durch ein Spiel, das keine vorgefertigten Erwartungen erfüllen muss und stattdessen einfach passiert, uns begeistert und einen im ungewohnten Terrain Neues erleben lässt.

Tales of the Neon Sea

Auf der Gamescom 2018 angespielt – sofort verliebt – sehnsüchtig erwartet – nun endlich spielbar. Die neue Adventure-Puzzle-Indie-Perle Tales of the Neon Sea entwickelt von Palm Pionieer und published by Zodiac Interactive könnte sich in dem leicht unterbesetzten Genre als eine bunte Offenbarung für Knobelfans herausstellen.

„Die Welt ist gebaut auf einer Mauer, die die Arten trennt. Erzählen wir beiden Seiten, es gibt keine Mauer handeln wir uns einen Krieg ein“ – Blade Runner 2049

In Form eines farbgewaltigen Pixel-Abenteuers entführt uns Tales of the Neon Sea in eine Blade-Runner-Esque Zukunftswelt, in der Roboter und Menschen zumindest auf dem Papier eine friedliche Koexistenz anstreben. In der Praxis sieht dies jedoch anders aus. Eine reibungslose Symbiose zwischen Roboter und Mensch scheint in jedem Szenario zum Scheitern verurteilt. Auch hier wird ein andauernder Konflikt geführt, welcher – gut geölt durch Misstrauen und Intrigen – den Kontext unseres Abenteuers schafft.

Wir spielen Ex-Polizeiermittler Nebel, der seine besten Tage als Spürnase hinter sich hat und seitdem seine Zeit – neben dem Konsum von Rauschmitteln – mit dem Annehmen kleinerer detektivischer Auftragsarbeiten verbringt.

Ohne zu wissen, was passiert ist, erwachen wir in einer düsteren Gasse und unsere erste Mission besteht darin, humpelnden Schrittes dem Tod zu entkommen. Schon direkt in die ersten Rätselmissionen hereingeworfen, erfahren wir immer mehr über unsere Person und die knallbunte Cyberpunk-Welt, in der wir existieren. Auf kreative und eingängige Art wird man schnell an die Steuerung und grundlegende Mechaniken herangeführt. Die Rätsel sind logisch aufgebaut und nach einigen Versuchen findet man sich schnell zurecht. In unserer ersten Amtshandlung besorgen wir uns durch eine kleine Tüftelei mit Hilfe verschiedener Drehmechaniken unseren verlorengegangenen Hut zurück. Ein Detektiv kann schließlich keine Fälle ohne seine stilechte Kopfbedeckung lösen.

Nach dem kurzen Tutorial folgt ein Rückblick, der uns gleich einige Jahre in die Vergangenheit zurückwirft. Hier setzt die eigentliche Handlung ein. Wir sind mit der Aufklärung eines anfänglich banal wirkenden Mordfalls beauftragt worden. Es wird nicht zu viel vorweg gegriffen, wenn wir sagen, dass sich innerhalb kürzester Zeit die Ereignisse überschlagen und wir uns inmitten einer möglichen Verschwörung befinden, deren Verursacher es scheinbar auf die brüchige Koexistenz von Robotern und Menschen abgesehen haben. Investigative Fertigkeiten sind hier gefragt! Ist dies der Anfang einer Roboter-Revolte? Sind die Gesetze Asimovs nichts mehr wert? Oder sind die Menschen das Problem?

Auf unserem Weg begleitet uns unser treuer Gefährte Wilhelm – ein schwarzer Kater, der uns bei der ein oder anderen Gelegenheit bei unseren Nachforschungen unterstützt. Wie sich im Verlauf des Spiels herausstellt, hat auch er in seiner Katzenwelt einige Ermiauttlungen zu führen. Nicht einmal Katzen können in dieser Zeit einer abgesicherten Zukunft entgegensehen.

“Stagnation macht meinen Geist rebellisch! Geben Sie mir Probleme, geben Sie mir Arbeit!” – Sherlock Holmes

In Tales of the Neon Sea erwartet uns ein Potpourri aus unterschiedlichen Rätseln. Von schlichten Puzzle- und Schieberätseln über anspruchsvolle Logikrästel bis hin zu höchster detektivischer Kombinationsgabe wird alles abverlangt, was ein wahrer Ermittler in seinem Portfolio vorweisen sollte. Je tiefer man in die Welt hineintaucht, desto anspruchsvoller werden auch die Rätsel. Zu einem gewissen Zeitpunkt fächert sich der bis dato recht lineare Spielverlauf zu einer großen Spielwelt mit zahlreichen Abzweigungen aus, in welcher man nicht selten überlegen muss, welchen (Tat-)Ort man als nächstes aufsucht.

“Trauen Sie niemals allgemeinen Eindrücken, mein Junge, sondern konzentrieren Sie sich auf Einzelheiten.” – Sherlock Holmes

Fazit:
Die fortgeschrittenen Rätsel sind sehr fordernd und verlangen einem nicht wenig Hirnschmalz ab, doch ist es diese Herausforderung, aus der auch der größte Reiz hervorgeht. Umso schwerer die zu knackende Kopfnuss, umso größer auch die anschließende Euphorie, wenn man die verdammten, versteckten Hinweise findet, die einen zu des Rätsels Lösung führen.
Die vielen kleinen Gimmicks, wie Anspielungen an Sherlock-Holmes oder Asimovs Robotergesetze, machen die liebevolle und detailreiche Gestaltung des Spiels aus. Tales of the Neon Sea besticht nicht nur durch seine Pixelgrafik, sondern auch durch die beinahe fiebrig-dystopische Atmosphäre, die durch unterschwellig wummernde Synthie-Sounds perfekt ergänzt wird. Es erinnert an einen spielbaren, mehrstufigen Escape-Room und kombiniert dabei in seiner Spielmechanik Spieleklassiker wie beispielsweise „The Witness“ oder „Day of the Tentacle“. Rätselfreunde und Kombinationsenthusiasten kommen voll auf ihre Kosten.