„Ein Pokéball sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden“. – So ungefähr könnte der Klappentext der beiden neuen Editionen Schwert und Schild lauten. Stattdessen aber lockt die Monsterhatz der 8. Generation mit rund 400 Pokémon, verstreut in der neuen, dem vorindustriellen England nachempfundenen Galar-Region. Nach Pokémon Let’s Go Evoli und Let’s Go Pikachu erwartet uns das erste „richtige“ Abenteuer aus dem Hause Game Freak auf der Switch. Ob mit Schwert und Schild aber der große Wurf gelungen ist, oder ob man sich der Kritik im Netz beugen muss, lest ihr hier.
Eines vorweg: Wem das Spielprinzip der Pokémon-Reihe nicht geläufig ist, dem sei empfohlen, sich auf dem nächsten Flohmarkt für ein paar Credits einen Gameboy mitsamt einer der früheren Editionen zu besorgen. Es handelt sich um eine Erfolgsformel, die seit jeher funktioniert und nicht zuletzt auch auf dem Smartphone dafür sorgt, um zehn Uhr abends nochmal um den Häuserblock zu gehen, damit das verdammte Ei endlich ausschlüpft. Fangen, Kämpfen, Leveln – diese drei Grundpfeiler halten das Franchise seit Ende der 90er am Leben. Und so lange dieses Skelett mit immer neuen Taschenmonstern und Welten angefüttert wird, kann wenig schiefgehen.
Die neuen Pokémon sind vielfältig und herrlich abgedreht. Die extrem abwechslungsreich gestaltete Galar-Region weiß durchaus zu begeistern und mit den Raids wird eine schon vom Smartphone bekannte Komponente hinzugefügt, die es erlaubt, sich mit mehreren Spielern gegen stärkere Monster zu verbünden. Solche Events finden in der sogenannten Naturzone statt, die einem Open-World-Areal am nächsten kommt und wo zahlreiche unterschiedliche Pokémon, abhängig von Uhrzeit und Witterungsbedingungen, gefangen werden können. Wenn ihr nicht gerade dort unterwegs seid, erkundet ihr mit eurem wasserfähigen Fahrrad die bunte Welt, genießt dabei den hübsch komponierten Soundtrack und strebt eurer Karriere als nächster Pokémon-Champion entgegen.
Klar, im Vergleich zu einem Breath of the Wild ist das Open-World-Gefühl ein Witz. Auch dass mit unserem Rivalen und Freund, der den klangvollen Namen Hop trägt, einer der nervigsten Charaktere der gesamten Pokémonhistorie eingeführt wurde, ist nicht zu verachten. Und ja, zumeist ist das Spiel einfacher, als einem Karpador das Erbärmlichsein beizubringen. Wer jedoch ein Anhänger der Reihe ist, sollte doch eigentlich nur bedingt überrascht sein. Aber warum war der Aufschrei im unmittelbaren Release-Zeitraum dennoch so enorm? Warum ist das Internet gespalten in diejenigen, die es heiß lieben und diejenigen, die es für die schlimmste Erfindung seit dem Nintendo Power Glove halten?
Wer Nintendo liebt und im besten Falle damit aufgewachsen ist, hat möglicherweise viele Stunden seines Lebens mit Mario, Zelda und Pokémon verbracht. Während die ersten beiden Titel zuletzt mit frischen, mutigen Ideen, ohne nennenswerte Kontroversen bedingungslosen Spielspaß brachten, erhoffte man sich ähnliches vom ersten vollblütigen Pokémon auf der Switch. Eine offene, weitläufige Welt, die zu hunderten von Stunden erkundet werden kann, sollte nicht mehr länger nur ein Traum sein. Und dazu noch mehr Pokémon als Krog-Samen in Breath of the Wild! Take my money! – Die Realität sieht aber leider anders aus. Die Welt ist zwar stimmig, aber weder groß, noch besonders hübsch. Grafik und Animationen entstammen gut und gerne einer früheren Konsolengeneration. Game Freak sprach von überforderten Entwicklern, für die Fans jedoch nur ein schwacher Trost, wenn obendrein zahlreiche ihrer liebsten Monster kurzerhand aus dem Spiel gestrichen wurden.
Ja, die Kritik der Spielerschar ist berechtigt. Es hätte der heilige Gral der Serie werden können und für manche ist er das vielleicht auch. Aber machen wir uns nichts vor: Mehr wäre schon schön gewesen. Ist es deswegen aber ein schlechtes Spiel? In keinster Weise. Die Suchtspirale greift wie eh und je, der Wille, sein Team für die kommenden (Online-)Kämpfe aufzustellen und zu perfektionieren, ungebrochen. Und auch wenn es „nur“ etwa 400 Pokémon sind, wird einige Zeit ins Land gehen müssen, bis diese eingetütet sind. Während des Testens kam zu keiner Sekunde Langeweile auf und auch nach dem Durchspielen wird das Spiel nicht so schnell wieder in seiner Hülle verschwinden. Die matschigen Texturen sind zwar nicht sonderlich hübsch, fallen bei längerer Spielzeit – vor allem im Handheld-Modus – deutlich weniger auf. Jede neu entdeckte Stadt lässt den Wunsch aufkommen, jeden Winkel zu erkunden und entlockt einem mitunter sogar ein „Guck mal, wie hübsch!“. Es ist nicht das Pokémon-Spiel unserer Träume, aber es ist ein gutes Spiel, mit dem jeder eine Menge Spaß haben kann, bei dem der Stachel der Enttäuschung nicht zu tief sitzt. Neue Monster, neue Welt. Fangen, Kämpfen, Leveln – die Erfolgsformel funktioniert.