„Stimmt es, dass in diesem Jahr auf der Gamescom irgendein Typ vor den Fortnite-Stand gekackt hat?“, höre ich einen etwa dreizehnjährigen Jungen seinen Freund fragen. Beide sitzen mir in der Straßenbahn gegenüber und beginnen bei der Vorstellung jener Tat – ob nun tatsächlich geschehen oder nicht – sich die Bäuche vor Lachen zu halten. Noch etwas müde von den vergangenen Messetagen richte ich meinen Blick aus dem Fenster und bemerke, wie sich auch in meinem Gesicht ein schwaches Lächeln andeutet. Ich fange an, in Erinnerungen an meinen ganz persönlichen „Ironman des Gamings“ zu schwelgen:
Etappe 1: Im Schatten des Fachbesuchers
Wie die letzten Jahre schon, beginnt die Gamescom für uns damit, von einer Masse aus Menschen absorbiert zu werden, die sich langsam und unaufgeregt durch den serpentinenartigen Parcours bewegt, der zur Kontrolle des Besucheransturms vor dem Messegelände errichtet wurde. Trotz der noch nicht allzu weit fortgeschrittenen Uhrzeit ist es bereits sehr warm. Klimawandel hin oder her, für mich war die Gamescom bisher in jedem Jahr ein freudiges Schwitzfest. Umso glücklicher ist man über den schattenspendenden Aufbau – über welchen Fachbesucher getrennt von Privatbesuchern – wie mir und meiner Freundin, auf das Gelände gelangen. Während sich ein paar der Fachbesucher noch die Zeit nehmen, ein Selfie mit der untenstehenden Masse im Hintergrund aufzunehmen, findet der Rest von ihnen schnell und vergleichsweise unkompliziert einen Weg hinein. Nach etwa 45 Minuten Schlange stehen, verabschieden auch wir uns vorerst von direkter Sonneneinstrahlung und betreten den G20-Gipfel des Gamings.
Etappe 2: Goodies! Gebt mir Goodies!
Es ist 11 Uhr als wir die Eingangshalle betreten. Steffi, Kris und Thomas konnten bereits den ein oder anderen Pressetermin wahrnehmen, doch für uns beginnt der eigentliche Tag erst jetzt. Aus der Ferne hören wir das dumpfe Wummern der ersten Messestände, die schon mit ihrem Programm begonnen haben. Vorab: die Gamescom ist laut. Sehr laut. Wer durch eine der insgesamt 11 Hallen geht, muss damit rechnen, von jeder Seite beschallt zu werden. Auf riesigen Bildschirmen werden die neuesten Trailer kommender Spiele akustisch eindrucksvoll präsentiert, wobei man meinen könnte, dass sie gegenseitig versuchen, sich zu übertönen. Assassin’s Creed gegen Call of Duty, Battlefield gegen Overwatch. – Hier und da findet sich eine kleine bis mittelgroße Menschentraube, die sich vor einer der vielen Bühnen der jeweiligen Messestände eingefunden hat und die Hände erwartungsvoll in die Luft streckt. Das kann nur eines bedeuten: Goodies! Das Ganze funktioniert so, dass ein motivierter Mensch mit Mikrofon auf die Bühne tritt, die Masse dazu animiert, unisono so etwas wie „Razor!“ oder „Wargaming!“ zu schreien und daraufhin Schlüsselbänder, T-Shirts oder sonstige Aufmerksamkeiten ins Publikum wirft. Es ist der Kölner Karneval der Nerds.
Statt aber einem solchen Spektakel beizuwohnen, schlendern wir durch die Hallen und lassen uns von der Atmosphäre nun gänzlich verschlingen. Der dichte Klangteppich wickelt uns regelrecht ein, doch auch was manch ein Spieleentwickler durch seinen Stand an visueller Präsenz ausstrahlt, fasziniert immer wieder aufs Neue. So ist der Fortnite-Stand nicht nur aufgrund des eingangs beschriebenen Vorfalls eine Erwähnung wert, sondern wurde aufgrund einer sehr liebevollen Ausgestaltung auch zum Messestand des Jahres 2018 auf der Gamescom gewählt. Als langjähriger Warcraft-Fan habe ich mich natürlich besonders über die Nachbildung des Dunkelmond-Jahrmarkts am Blizzard-Stand gefreut. Überall gibt es was zu entdecken. Ein besonderes Highlight sind natürlich immer die Cosplayerinnen und Cosplayer, die in teils wahnsinnig aufwendigen Kostümen über die Messe stolzieren und sich zumeist gerne mit Fans ablichten lassen…jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass meine geliebte Sylvanas es mindestens genauso cool wie ich fand, ein gemeinsames Foto mit mir aufzunehmen. – Die Gamescom ist ein gewaltiges audiovisuelles Erlebnis, das mit kaum etwas zu vergleichen ist. Trotz einer gegenüber zum Vorjahr nochmals angestiegenen Besucherzahl und gelegentlicher Staus freuen wir uns auf das, was noch kommt.
Etappe 3: „Ab hier noch 6 Stunden“
Jedem Gamescombesucher sollten unheilvolle Botschaften wie diese nicht unbekannt sein. So sind es vor allem Blockbuster-Spiele wie das neue Battlefield V, die mit entsprechenden Warnschildern versuchen, sich vor einem ungebremsten Ansturm der interessierten Spielerschaft zu schützen. Das klappt bedingt, denn auch eine mehrstündige Wartezeit hält den eingefleischten Fan nicht davon ab, sich einzureihen. Die, die es besonders ernst meinen, sind an den Campingstühlen und der Nintendo Switch mitsamt Powerbank zu erkennen. Die, die ihre mangelnde Vorbereitung durch pure Willenskraft ausgleichen wollen, sind spätestens nach zwei Stunden an ihren leeren, seelenlosen Augen auszumachen. Ich selbst hatte das unverschämte Glück für den Stand des Ballerspektakels von EA einen Fastpass – eine Art goldene Eintrittskarte, die mir priorisierten Zugang verschafft – geschenkt zu bekommen. Etwas peinlich berührt aufgrund dieses unerwarteten Privilegs begab ich mich schon nach kurzer Anstehzeit in den Präsentationsraum, wo vor etwa 60 Zuschauern zunächst ein Trailer des Spiels gezeigt wurde. Ein Mitarbeiter von EA hatte die glorreiche Aufgabe, das Ganze für uns zu moderieren und leitete mit der folgenden Frage ein: „Seid ihr gut drauf?“ – Das hätte er nicht tun sollen. Was er zur Antwort bekam, war kaum mehr als ein kollektives Stöhnen. Es war als wäre ich unter den lebenden Toten. Wer Dark Souls kennt, dem sei an dieser Stelle die Begrifflichkeit der „Hülle“ ans Herz gelegt. Nach dem kurzen Trailer schlurfte die ächzende Menge inklusive meiner noch immer warmblütigen Wenigkeit zu den Spielstationen, um eine kleine Runde zu spielen. 15 Minuten Krieg; ich hatte meinen Spaß.
Wie nahezu jedes Jahr lässt mich jedoch ein Gedanke nicht los: Kann es das Wert sein? Diese Stunden des Anstehens, nur um einen kleinen Blick auf das zu erhaschen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten Monate seinen Weg auf die heimische Konsole oder den heimischen PC findet. – Letztlich muss das jeder selbst wissen und ich habe absolute Achtung vor denjenigen, die diese Zeit für ihre Leidenschaft investieren, jedoch sollen Gerüchten zufolge schon ganze Bachelorarbeiten während dieser Wartezeiten angefangen und auch zu Ende gebracht worden sein. Für meine Freundin und mich steht dementsprechend schon seit mehreren Jahren fest, dass die Gamescom mehr ist, als sich in solchen Prüfungen des Willens zu beweisen. Als Privatbesucher haben wir stattdessen großen Gefallen daran gefunden, berauscht von der gesamten Stimmung über die Messe zu laufen, eher kleine Stände ohne lange Wartezeiten zu besuchen – dabei vielleicht sogar die ein oder andere Indie-Perle zu entdecken – und Freunde zu treffen. Immer einen Blick wert war für uns auch das Family&Friends-Areal, in dem es nicht nur um das Daddeln vor dem Bildschirm geht, sondern eine große Skatebahn, eine Kletterwand oder ein mit echten Menschen bestückter Kicker zur körperlichen Ertüchtigung einladen. Wer trotz dieser Angebote die Bewegung vor dem Bildschirm vorzieht, kann auch wie wir gegen drei zehnjährige Jungs in einem Just Dance Turnier kläglich verlieren.
Etappe 4: Zwischen Faszination und Sehnsucht
Gegen 18 Uhr geht auch für uns die Gamescom schließlich zu Ende. Viele kommen am nächsten Tag wieder, wir nicht. Zeit für ein Resümee:
Auch als Privatbesucher macht die Gamescom Spaß, vorausgesetzt man weiß ein wenig, worauf man sich einlässt und welche Strategie dementsprechend für einen selbst am sinnigsten ist. Wir haben ordentlich Strecke gemacht, viele wunderbare Leute getroffen, sehr teures, aber sehr leckeres Essen genossen – ein Hoch auf den Pulled-Pork-Burger – und tatsächlich auch ein bisschen gezockt. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man mit einem Besucherticketpreis von knapp 10€ nicht viel falsch machen kann. Es wird laut und am Ende des Tages fallen euch vermutlich die Füße ab (Ironman des Gamings!), aber mit ein paar guten Freunden oder der besseren Hälfte zur Unterstützung wird es sicherlich kein vergeudeter Tag.
Und dennoch steht da dieser Elefant im Raum, der mir immer wieder ins Gesicht trötet, dass ich es nächstes Jahr unbedingt einmal als Fachbesucher probieren sollte. Abgesehen von der Akkreditierung bin ich mir sicher, dass auch das kein Zuckerschlecken ist. Im Gegenteil: Durch Steffi, Thomas und Kris habe ich zumindest teilweise mitbekommen, welchen Aufwand es mit sich bringt, Termine bei Publishern zu erhaschen, diese zu koordinieren und in teilweise sehr eng getakteter Frequenz wahrzunehmen. Während meine Freundin und ich die nachfolgenden Messetage stets ausschlafen konnten, ging es für die anderen zu recht sportlichen Zeiten wieder aufs Gelände. – Auf der anderen Seite könnte ich mir wesentlich schlimmeres vorstellen als eine bierflaschengroße Cyberpunk 2077 Statue einzutüten, mehr Zeit zum spielen eingeräumt zu bekommen und obendrein mit etwas Glück für umme verköstigt zu werden. Ich denke mit großem Herzschmerz an das Whatsappbild eines schmackhaft aussehenden Serrano-Schinkens in der Größe meines Oberschenkels zurück. Generell reizt mich der Gedanke, das Ganze wie ein auf mehrere Tage ausgelegtes Festival wahrzunehmen, nur statt Bands gibt es eben Spiele. Ähnlich wie nach einem Wochenende Rock am Ring stelle ich mir vor, am Ende kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen zu können, aber ohne jede Reue zu sagen: „Nächstes Jahr wieder“. – Ich für meinen Teil bin mir schon jetzt wenige Tage nach der Messe just in diesem Moment in der Straßenbahn sicher, dass ich 2019 wieder dabei sein werde. Vermutlich wieder mit einem neuen Besucherrekord und vielleicht mit noch mehr Kacke. Bis zum nächsten Jahr, liebe Gamescom…du dreckiges Monstrum von einer Messe!
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